TEXTBÜRO STEPHAN GLIETSCH
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Exposé

8/30/2020

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Prämisse:
Mitten in der Fußgängerzone einer Kleinstadt unweit von Görlitz übergießt sich 1996 ein junger Mann mit Benzin und zündet sich an. Dieser Roman erzählt, wie es dazu kam. Es ist eine Coming-of-Age-Geschichte aus den letzten Tagen der Prä-Internet-Zeit. Basierend auf einer wahren Geschichte erzählt sie von Freundschaft, Liebe, der Leidenschaft für Musik, der Sehnsucht nach Freiheit und dem Club als sozialem Utopia. Dabei zeigt sie auf, welche zerstörerische Kraft Verschwörungstheorien und die Selbstbestätigungsmechanismen von Filterblasen entwickeln können, und ist so zugleich ein Spiegel unserer Zeit
 
Die Hintergründe:
Eine westdeutsche Kleinstadt im Jahr 1990. Die Freunde Raffael und Pjotr kennen sich aus der Schule. Auf der Abschlussfahrt nach London lernen sie die Zirkusartistin Gesine kennen, die in einem Club als Performance-Künstlerin auftritt. Die beiden Abiturienten werden vom Acid-House-Fieber gepackt. Pjotr und Gesine werden ein Paar. Sie folgt ihm nach Deutschland. Zurück in der heimischen Provinz veranstalten sie Club-Abende in einer örtlichen Diskothek und eröffnen schließlich ihren eigenen Club. Gesine übernimmt das Artwork, Raffael die Geschäftsführung und der DJ Pjotr das Booking. Der Space-Club ist einer der ersten Techno-Clubs Deutschlands und schon bald auch einer der erfolgreichsten.  Als das Trio schließlich 1992 in der Görlitzer Eissporthalle einen Rave mit mehr als 5000 Besuchern veranstaltet, markiert das den vorläufigen Höhepunkt der jungen Technobewegung aber auch das Ende ihrer Freundschaft und Pjotrs Absturz in den Wahn, der Jahre später mit seinem Suizid enden wird.
 
Die Handlung:
Gesine, Raffael und Pjotr sind beste Freunde. Sowohl Gesine als auch Raffael sind in den charismatischen DJ Pjotr verliebt, der allerdings nur seine künstlerische Vision im Kopf hat. Technobeats und MDMA sind für ihn die Schlüssel zu einem pazifistischen Utopia. In dessen Umsetzung sieht er sich schon bald vom Staat, dem Großkapital, der Presse und einer wachsenden Zahl anderer Gegenspieler bedroht. Je erfolgreicher das Trio wird, desto mehr steigert sich Pjotr in diese Verschwörungstheorien hinein, die zunehmend sein Handeln und auch die Beziehung der drei Protagonisten prägen. Während Pjotr sein vermeintliches Geheimwissen zu Kopf steigt, und er immer manipulativer wird, verstricken sich die beiden anderen zusehends in dem von ihm projizierten Netz aus Ängsten und Abhängigkeiten. Die Drogen tragen ihren Teil zur wachsenden Paranoia bei.  Zumal Pjotr neben Ecstasy-Pillen bald schon Unmengen Speed konsumiert. Als er nach einem LSD-Trip ausrastet und sich selbst verletzt, rufen die beiden anderen den Notarzt. Im Wahn greift Pjotr einen der Sanitäter mit dem Messer an.  Nach der Überstellung in eine psychiatrische Klink wird ihm eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Als er vier Jahre später entlassen wird, setzt er kurz darauf seine Medikamente ab. Zwei Wochen später übergießt er sich in der Fußgängerzone seiner Heimatstadt mit Benzin und zündet sich. Auf Pjotrs Beerdigung sehen sich Gesine und Raffael zum ersten Mal nach vier Jahren. Es ist auch das letzte Mal.


KAPITEL 1

Vom Eindringen des Imperfekts in die Grammatik des heutigen Tages
 
„Die Erde bricht wie Brot.
Ich geh zu Grund, klagt das Meer.
Das Feuer, dies sanfte Delirium.
Der Abendhauch stürzt einen Felsen um.“
(Elisabeth Borchers)

„Homicide,
suicide,
death,
boom!
Ain't nobody left
Ooh, it's startin' to take effect
You're on your knees, you're scared to death
Tornados with a thousand people spinnin'
One fight at the cross and now God is winnin'
The whole Earth cracks in half
The sea turns red from the blood bath
Abandoned buildings burned and two remain“
(LL Cool J - Crossroads)

 

Als die Welt auseinanderbrach rückte Dietmar in der kurzen Warteschlange vor dem Geldautomaten an der Ecke Schlossstraße und Salamanderweg gerade auf den ersten Platz vor. Er schob die Karte in den Schlitz und tippte seine Geheimzahl in die Tastatur. Bis zuletzt vermochte er nicht zu sagen, ob er damals getan hätte, was er kurz darauf tun sollte, wäre da nicht das Plakat an der Tankstelle gegenüber oder zumindest ein Teil des seit drei Monaten ausstehenden Lohns auf seinem Konto gewesen. Hätte die Maschine nämlich ein paar Scheine ausgespuckt, er wäre wohl ohne sich noch einmal umzudrehen in den kleinen Lebensmittelladen ein paar Häuser weiter geeilt, um sich eine Tüte Wassereis zu kaufen. Dietmar liebte Wassereis, ganz besonders das mit Waldmeistergeschmack, von dem die Zunge leuchtend grün wurde, und er kannte kaum ein angenehmeres Gefühl als das taube Kribbeln, das beim Lecken des körnigen Granulats allmählich vom Gaumen bis hinauf in die Schläfen wanderte. Der bloße Gedanke an dieses rare Vergnügen ließ ihm die Aussicht auf den langen Fußmarsch zurück zum Festplatz gleich um Einiges erträglicher erscheinen.

Da das schmallippige Maul des Automaten sich jedoch weigerte, auch nur einen einzigen Dollar auszuspucken, hob Walton lediglich resignierend die gewaltigen runden Schultern. Während er darauf wartete, dass die ratternde Kiste seine Karte wieder hergab, bückte er sich, um die Reflexion des Plakats im Display zu studieren. „tleW red hcsneM etskräts lohw reD - rotnagiG“ rezitierte Dietmar - der sich auch die Comic-Hefte, in denen er so gern vor dem Einschlafen schmökerte, stets laut vorlas - mit dröhnendem Bariton die aus goldumrandeten, roten Lettern bestehenden Wörter des Schriftzugs, der in verschnörkelter Western-Typographie auf dem tiefblauen Grund des Posters prangte.

„He du, Fettsack, könntest du bitte mit dem ausländischen Kauderwelsch aufhören und dich etwas beeilen“, drängte jemand hinter ihm, „es gibt hier Leute, die ...“ Als Dietmar sich wieder zu voller Größe aufrichtete, hielt der Mann mitten im Satz inne und fragte dann deutlich kleinlauter: „Verstehen Sie überhaupt, was ich sage?“ Dietmar verstand ihn nicht. Er hatte noch nie verstanden, warum manche Leute durch das Leben hetzten wie von einem immerwährenden Harndrang geplagt. Aber Dietmar verstand ganz im Allgemeinen eher wenig. Zumindest, was das Handeln und die Beweggründe anderer Menschen betraf.  Vermutlich, weil ich nicht unbedingt der Hellste bin, dachte Dietmar, wahrscheinlich bin ich deshalb so schwer von Begriff, denn das war es, was er Zeit seines Lebens zu hören bekam. Zumindest war das so gewesen, bis der alte Schiffmann ihn unter seine Fittiche genommen hatte.   

Als er das Ende der Karte endlich mit den kurzen Fingern seiner riesigen Tatzen zu fassen bekam, zog er sie heraus, schob sie wieder in die Geldbörse, steckte diese in die Gesäßtasche der verschlissenen Latzhose, die er über seinem rot und weiß geringelten, ärmellosen Trikot trug, drehte sich um und blickte nun auf eine blasse Gestalt mit fortgeschrittener Stirnglatze hinab, die aus ihrem taubenblauen Anzug heraus verängstigt zu ihm hinaufblinzelte und mit beiden Armen einen ledernen Aktenkoffer umschlang. Ihr rosiges Gesicht mit den stechenden kleinen Augen erinnerte ihn an Peter Porker, das dressierte Schwein von Oleg dem Clown. Walton mochte Peter Porker, dennoch empfand er eine instinktive Abneigung gegen diesen Mann. „Hat eh keinen Zweck“, warnte Dietmar ihn trotzdem höflich vor, „bevor es nicht regnet, gibt’s kein Geld.“
    Das musst du verstehen, Dietmar, hatte Direktor Schiffmann zu ihm gesagt, du willst doch auch nicht, dass Gesines Pferde verhungern, weil wir kein Futter für sie kaufen können. Sobald der Winter vorüber ist und die Tiere wieder weiden können, kriegst du deinen Lohn. Versprochen! Und natürlich wollte Dietmar nicht, dass die Pferde verhungern. Er mochte die Pferde. Und er mochte Gesine. Sie sah wunderschön aus, wenn sie in ihrer Cowboy-Kluft mit dem Stetson und der langen Peitsche in der Manege stand. Und sie benutzte die Peitsche nur, um damit zu knallen. Er hatte noch nie erlebt, dass sie eines der Tiere schlug. Außerdem war sie immer freundlich zu ihm. Wenn die Pferde verhungern würden, dann wäre Gesine arbeitslos. Und arbeitslose Menschen waren unfreundlich und scheuten nicht davor zurück, andere zu schlagen. Das hatte Dietmar am eigenen Leibe erfahren müssen. Sein Vater hatte zwar niemals eine Peitsche benutzt, aber ansonsten so ziemlich alles, was er in die Finger bekam. Trotzdem plagte Walton immer noch gelegentlich ein schlechtes Gewissen, weil er von zu Hause fortgelaufen war. Einmal hatte er seinem Vater sogar eine Postkarte geschickt. Aus Nordhausen in Thüringen. Weil auf der Karte eine Flasche dieses Gesöffs abgebildet war, das der Alte so mochte. Hallo Dad, hatte er geschrieben, ich habe jetzt Arbeit beim Zirkus - nicht „ich bin beim Zirkus“ sondern „ich habe Arbeit beim Zirkus“ - und komme viel rum, Dein Sohn Dietmar. Er hatte nie eine Antwort erhalten. Gesine hätte ihm sicher zurückgeschrieben und sie würde ihn auch ganz bestimmt niemals schlagen. Selbst dann nicht, wenn sie arbeitslos wäre. Vielleicht sollte er ihr eine Karte schreiben. Immerhin hatte er noch ein paar Cents in der Tasche und das Geld für die Briefmarke konnte er sich sparen, wenn er die Karte einfach unter der Tür ihres Wohnwagens hindurchschöbe.

    Als er sich von dem Geldautomaten abwandte und über die Köpfe der Wartenden hinweg nach einem Souvenirladen suchte, erblickte Walton auf der anderen Straßenseite das Plakat, dessen Spiegelung er im Display des Automaten gesehen hatte. Es war ihm ein vertrauter Anblick: Wann immer der Zirkus in einer Stadt gastierte, ließ Proctor dort vorher plakatieren, oft genug hatte Dietmar die Poster mit den grellbunten Portraits der beiden größten Attraktionen des Zirkus selbst geklebt. Doch wo ihm sonst Gesines und sein eigenes Gesicht entgegenblickten, starrten ihn nun aus milchig weißen Pupillen die bleichen, schorfigen Fratzen zwei blinder Zombies an. Mit einem lauten, hellen Quieken zuckte Dietmar erschreckt zusammen, bloß um Sekundenbruchteile darauf, ob der Erkenntnis, dass die Entstellung allein dicken Schlieren getrockneten Plakatkleisters zu verdanken war, erleichtert durchzuatmen. Doch da hatte der Rest der Schlange sich bereits neugierig der Tankstelle zugewandt, um zu sehen, was einen Koloss wie ihn derart das Fürchten gelehrt haben mochte. Als Dietmar beschämt den Blick senkte, bemerkte er den Spalt im Asphalt. Der Riss nahm seinen Ausgang zu Füßen des hölzernen Garagentors, an dem das Plakat hing, und zog sich von dort im Zickzackkurs an der einzigen Zapfsäule vorbei bis auf den nahen Bürgersteig. 

„Schau mal“, sagte ein etwa achtjähriger Junge mit auffällig buschigen, dunklen Augenbrauen zu einer stämmigen Blondine, die hinter dem Mann im taubenblauen Anzug in der Schlange wartete, „der Mann da vorne, das ist Gigantor, der stärkste Mensch der Welt. Steht auf dem Poster da drüben.“

„Wohl“, verbesserte ihn die Frau, die angesichts der beiden pelzigen Raupen, die über ihre Stirn krochen, nur die Mutter des Jungen sein konnte, „da steht: der wohl stärkste Mann der Welt. Das heißt, man weiß es nicht genau. Gut möglich, dass es viel stärkere gibt.“

„Was für ein blöder Affe kommt denn auf die Schnapsidee, im Slogan eines Werbeplakats den Superlativ zu relativieren!“, keifte der Anzugträger, dessen Halbplatte, wie Walton nun erkannte, eigentlich eine mittels einer Handvoll sorgfältig über den Kopf gescheitelter Haarsträhnen kaschierte Glatze war. „Aber was soll man von diesen ungebildeten Zirkusvolk auch anderes erwarten. Alles Idioten!“, schimpfte er weiter.

Zwar war Dietmar die Bedeutung des Begriffes „relativieren“ nicht bekannt, aber Proctor hatte ihm am Tag seiner ersten Vorstellung geduldig erläutert, was es mit dem Begriff „wohl“ auf sich hat, und warum das Wörtchen – so leid es dem Direktor tat – zwingend auf dem Plakat Verwendung finden musste. Aus rechtlichen Gründen nämlich. Was rechtliche Gründe waren, hatte ihm wiederum Gesine erklärt, die „wahrscheinlich schönste Blume der Prärie“. Grandpa sichert sich nur ab, sagte Gesine. Denn wenn sich herausstellen sollte, dass du gar nicht der stärkste Mensch der Welt bist, sondern dass dieser Titel eigentlich einem anderen gebührt, dann könnte uns das eine Menge Ärger einbrocken. Weil wir gelogen haben. Auch das konnte Walton nicht so ganz begreifen. Aber ein Lügner wollte er auf keinem Fall sein.

Auch wenn Dietmar nicht wusste, was „relativieren“ hieß, das Wort „Idiot“ war ihm nur allzu geläufig - sein Vater hatte ihn oft so genannt - und es gefiel ihm überhaupt nicht. Was die Affen betraf, so war er ob des stümperhaft geklebten Plakats zwar etwas verunsichert, konnte sich aber eigentlich nicht vorstellen, dass sie etwas damit zu tun hatten. Das würde der alte Proctor nie zulassen, weil die Schimpansen nämlich nichts als Unsinn im Kopf hatten und vor allem weil der Direktor eben kein Idiot war, was Walton diesem Peter Porker im Anzug auch gerne sagen wollte - allerdings fehlten ihm die passenden Worte. Trotzdem versuchte er es.

„Das war kein Affe sondern Herr Schiffmann und er ist ein ... er ist ein guter Mensch, er sorgt für Gesine, mich und die anderen. Und er ... er sorgt für die Tiere. Auch für die Affen. Er ist kein Idiot sondern ein Direktor“, stammelte er.
     „Mag sein, dass er keiner ist“, erwiderte der Mann, der langsam wieder Oberwasser bekam, weil er inzwischen vermutete, dass die Körpergröße seines Gegenübers nur noch von dessen Dummheit übertroffen wurde, „aber was dich Riesenbaby betrifft, habe ich kaum Zweifel.“ Als er sah, wie Dietmars Bartspitzen zu zittern und die Augen des Riesen feucht zu glänzen begannen, strich er sich eine widerspenstige Strähne über die Glatze und sagte: „Nichts für ungut, aber wir haben hier bereits einen Dorftrottel.“ Dann starrte er herausfordernd zu ihm hinauf.

Jetzt glotzten ihn auch Mutter und Sohn unverhohlen an. Während die pelzigen Raupen auf der Stirn des Jungen seinem Pony zustrebten, als wollten sie unter ein schützendes Blätterdach flüchten, steckten die auf der Stirn der Frau tratschend die Köpfe zusammen und reckten drohend ihre Hinterteile in die Höhe.

Dietmar spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Schwer atmend kämpfte er mit geballten Fäusten gegen die Tränen an. Der Anblick des keuchenden, hochroten Riesen ließ den Mann vorsichtig hinter die beiden anderen zurückweichen. Die Einsicht, dass er zu weit gegangen war, kam ihm spätestens, als Dietmar urplötzlich die Augen aufriss, an Mutter und Sohn vorbei hechtete und ihn mit einem einzigen Schlag seiner gewaltigen Pranken zur Seite fegte.
Er konnte allerdings nicht sehen, wie hinter ihm der Riss im Boden plötzlich quer über die Straße und zwischen seinen staubigen Mokassins hindurchschoss. Für das darauffolgende Knirschen und Krachen, als sich die Spalte auf gut zwei Finger Breite erweiterte, machte er irrtümlich Dietmar Hieb verantwortlich.

Dabei hätte Dietmar, wäre der Riss in der Straße nicht gewesen, vermutlich getan, was er für gewöhnlich zu tun pflegte, wenn ihn – was gar nicht selten geschah - wildfremde Leute begafften: Er hätte freundlich gelächelt, verschämt etwas in seinen gezwirbelten schwarzen Schnauzbart gebrummelt und sich so schnell wie möglich aus dem Staub gemacht. Letztlich war es aber vorrangig der vorrausgegangen Demütigung geschuldet, dass der wohl stärkste Mann der Welt sich auf der anderen Straßenseite zu Boden warf, die Füße in einem Gulli-Deckel verkeilte, während er sich mit seinen riesigen, haarigen Greifern am Bordstein festklammerte, als sich unter ihm mit Radau und Getöse die Erde auftat und er einen folgenschweren Entschluss fasste: Er, Dietmar Dinslaken, würde diesen Menschen zeigen, dass er kein Idiot war. Er würde diesen Planeten um jeden Preis zusammenhalten.    

Just in diesem Augenblick flog ihm ein kantiger, schwarzer Schemen entgegen und noch ehe er auch nur den Gedanken fassen konnte, der drohenden Gefahr auszuweichen, riss ihm die Wucht der Kollision den Kopf in den Nacken und ein gellender Schmerz explodierte krachend mitten in seinem Gesicht. Das trockene Knirschen, mit dem seine Schneidezähne brachen, raste durch seine Schädelknochen wie die Schallwellen einer Schiffshavarie durchs seichte Wasser. Tränen schossen ihm in die Augen und erstickten das gleißend weiße Feuerwerk auf seiner Netzhaut in milchigem Nebel, während der Geschmack von Salz und Rost seine Mundhöhle flutete, bis er sich prustend an seinem eigenen Blut verschluckte. Doch statt seinen Griff zu lockern oder gar loszulassen, als ihm allmählich die Sinne schwanden, grub Dietmar seine Nägel bloß noch tiefer in die schartige Spalte zwischen Bordstein und Gehweg.

Er würde nicht zulassen, dass die Welt auseinanderbrach.  



                      

KAPITEL 2




She’s the lady with the answers that can teach you ’bout the world, she’s a truck driving, pile driving mean mother-trucker of a girl
Don’t you worry, she treats every man the same, don’t you worry, that’s the way she plays her game, don’t you worry, cause whenever things go wrong, just call her name, call her name, call her name, and she’ll come looking.
(Denis the Fox – „Mother Trucker“)

 
Dieser Gestank. Säuerlich. Süßlich. Faulig. Alles zusammen. Wobei mal die eine, mal die andere Note überwog. Als hätte jemand einen Wurf Straßenköter in einem Bottich voll mit billigem Rotwein und Mountain Dew ersoffen, dann hineingekotzt und die Sauerei einfach hinter dem rostigen Kanonenofen vor sich hin gären lassen, der neben der Tür vor sich hin bollerte und den Raum mit einer mörderischen Gluthitze und dichtem Qualm erfüllte, als kröche von den umliegenden Hügeln nicht genug von beidem zwischen den dicht an dicht stehenden, schwefelgelben Stämmen der wie Antennenwälder in den Himmel aufragenden toten Hemlocktannen in den engen Talkessel hinab.
 
Ein Szenario, das gar nicht so weit hergeholt schien. Schließlich war das selbstkreierte Gebräu der erklärte Lieblingsdrink des Mannes, der Bettie zur Begrüßung ein lüsternes „Kann ich ihnen helfen, junge Dame?“ entgegen lispelte und dafür bekannt war, das Zeug in solchen Massen in sich hinein zu kippen, dass er ihm seinen Namen verdankte: Muschi Kalterer. Wann immer sie Muschis Laden betrat, musste Wendy würgen. Wobei der widerliche Geruch weiß Gott nicht der einzige Grund dafür war, dass sie nur dann hierher kam, wenn es sich gar nicht mehr vermeiden ließ, weil ihre Vorräte an Konserven, Bier oder Zigaretten mal wieder erschöpft waren. Wenn man hier irgendwo Gefahr lief, anderen Menschen zu begegnen – falls man den degenerierten Hinterwäldlern, die dieses trostlose Kaff bevölkerten, so etwas wie menschliches Auftreten überhaupt zusprechen konnte -, dann nämlich in dieser aus Wellblech, Planen, Bauholz und einem rostigen Wohnwagen zusammengezimmerten Imbissbude mit angeschlossenem Minimarkt. Und Begegnungen wollte Bettie tunlichst vermeiden. Hätte sie es auch nur im Geringsten auf menschliche Gesellschaft angelegt, wäre sie ganz sicher nicht in diese trostlose Einöde gezogen, in der mehr herrenlose Hunde als Einwohner lebten. Auch wenn der gute alte Red hier — zumindest dem Gestank in seinem Laden nach zur urteilen — sich offenbar als wandelnde „Pille danach“ betätigte: Die Viecher vermehrten sich einfach schneller.
 
Und das obwohl Günter Schienhammer, dessen Bruchbude mit der moosbewachsenen, im feuchten Nebel schwarzglänzenden Schieferfassade die oberhalb der Stelle, wo sich die eine der beiden einzigen asphaltierten Straßen von Oberbörsch in zwei Schotterpisten gabelte, auf dem Hügel thronte, als wäre sie das gottverdammte Rathaus des Kaffs, alles daran setzte, den Vorsprung zu verringern. Was ihn gewissermaßen zu Muschis Gegenspieler machte. So wie Wendy das sah, wurde dieser Dorfkaff-Don-Juan dabei von der Mehrheit der hiesigen Weiber nach Kräften unterstützt. Offenbar kannte die örtliche Damenwelt nichts Attraktiveres als einen schmerbäuchigen Nazi, der selbst im Hochsommer in Moonboots durch die Gegend stapfte. Ungeachtet des Umstands, dass Reese längst nicht nur die Ehefrauen und Mütter beglückte, sondern sich auch an deren weiblichem Nachwuchs delektierte – der schon rein statistisch betrachtet nicht selten sein eigener sein musste -, sorgte offenbar eine weise höhere Macht dafür, dass die Population von Oberbörsch erstaunlich konstant blieb, indem etwa ein beträchtlicher Teil der männlichen Jugend noch vor Erreichen der Volljährigkeit im Knast oder bei der Armee landete. Die Lebenserwartung derjenigen, die nicht vom Staat aus dem Verkehr gezogen wurden, orientierte sich in der Regel an Art und Menge der konsumierten Drogen sowie am Umfang der genetischen Vorbelastung durch die jahrzehntelange Inzucht — und war entsprechend eingeschränkt. Was ja hinter Gittern und auf irgendwelchen heldenhaften Missionen bei den beschissenen Mullahs im Prinzip auch nicht anders lief. Nur, dass man dort zumindest in den Genuss einer gewissen gesundheitlichen Grundversorgung kam, die sich durchaus lebensverlängernd auswirken dürfte – im Gegensatz zu Sprengfallen, umherirrenden Kugeln, Messerstechereien oder Vergewaltigungen, die je nachdem, was man gebucht hatte, zum Paket dazugehörten. Allerdings konnten einen solche oder ähnliche Gefahren durchaus auch in Oberbörsch erwarten. Wie auch immer – des einen Leid ist des andern Freud. Für Betties Geschmack trieben sich hier bereits mehr als genug von diesen degenerierten Pennern herum. Und die Tatsache, dass sich niemand groß wunderte, wenn wieder mal einer von ihnen sang und klanglos verschwunden war, betrachtete sie deshalb gleich in zweifacher Hinsicht als Gewinn an Lebensqualität.  

Bettie schaufelte einen Stapel Batterien, fünf Flaschen Apfelkorn, sowie die letzten zwanzig Dosen Büchsenfleisch aus dem Regal in den mitgebrachten Müllsack und hievte diesen zu den vier Paletten Dosenbier auf die aus alten Reifen improvisierte Theke. Die trübe Funzel, die über Muschis Kopf von der niedrigen Decke baumelte und vom Dreck der Fliegen, die sie umkreisten, so verkrustet war, dass die nackte Glühbirne vollständig unter dem braunen Film verschwand, tauchte den kleinen Raum in flackerndes, bernsteinfarbenes Dämmerlicht, das von der dicken Staub- und Schmutzschicht die jeden einzelnen Gegenstand hier drin überzog, absorbiert wurde, wie von einem schwarzen Loch. Selbst die dicken Gläser von Reds Hornbrille waren so verschmiert, dass sie das Licht nicht reflektierten. Nur an Wendys linker Hand glitzerten kurz zwei goldene Ringe auf, als sie wortlos fünf Finger hob, während sie mit der Rechten auf die Zigaretten in der Auslage zeigte. Der Ladenbesitzer packte die Kippen zu dem restlichen Zeug in den Sack, strich sich den fettigen Pony seiner Topffrisur aus der Stirn, wischte sich die Hände an seinem verblichenen Onkelst-T-Shirt ab, legte den Kopf schräg und begann mit seinen braunen Zähnen auf der Unterlippe zu kauen, um in den nächsten paar Minuten abwechselnd Tabaksaft und Zahlen auszuspucken, während er angestrengt ins Innere der Mülltüte starrte. Seelenruhig wartete Bettie ab, bis Muschi ihr endlich das Ergebnis seiner komplizierten Berechnungen entgegen nuschelte, zählte ihm das Geld in die Hand, trat mit ihren Einkäufen vor die Tür, blinzelte in die Sonne und atmete einmal tief durch, bevor sie den Sack im Fußraum des bulligen, lackglänzenden Abschleppwagens verstaute, den sie am Rand der Schotterpiste geparkt hatte. In der Nacht hatte es gewittert. Die Morgenluft war klar, knisterte förmlich vor Elektrizität, schmeckte noch immer nach Regen und roch nach feuchter Erde, statt wie gewöhnlich um diese Jahreszeit nach Ruß, Staub und schalem Schweiß. Für einen kurzen Moment war Bettie beinahe gewillt, ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken. Doch kaum war  sie hinters Steuer geklettert und hatte den Zündschlüssel herumgedreht, brauchte es nur einen einzigen Blick von der Höhe ihrer sanft vibrierenden Aussichtskanzel auf diese erbärmliche Ansammlung von abbruchreifen Fachwerkhäusern und Plattenbauten, die sich um sie herum in die düstere Senke duckten und an die Hänge klammerten, um den Gedanken auf der Stelle wieder zu verwerfen.
 
Bettie löste die Bremse. Bevor sie losfuhr, sah sie kurz über ihre Schulter, um sich zu vergewissern, dass die hinter ihrem Sitz verstaute Beute noch genauso gut verschnürt war, wie sie dort von ihr deponiert worden war, zwinkerte dem sich windenden Bündel zu, zündete sich eine Zigarette aus dem Sack zu ihren Füßen an und stellte das Radio auf ihren Schlager-Sender ein. Als sie aufs Gaspedal trat, spie aus dem verchromten Auspuffrohr neben der Kanzel fauchend eine Wolke pechschwarzen Rauchs in den Himmel über Oberbörsch und gab der Luft ihr gewohntes Aroma zurück.  
 
***
 
Muschi starrte seiner Kundin mit stierem Blick hinterher. Als sie sie den Kopf aus dem Fenster steckte und sich nach ihm umdrehte, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Mitten in diesem teigigen Gesicht klaffte ein kreisrundes Loch. Die fettig glänzende, knallrote Demarkationslinie ihrer faltigen Lippen sah aus wie ein Schließmuskel, der ständig ein überraschtes „O“ zu artikulieren schien. Im Inneren von diesem „O“ war ein Ring spitzer kleiner Zähne angeordnet. Sie erinnerten Muschi an die Sandwürmer in dem Film „Der Wüstenplanet“. Irgendwie geilte ihn der Anblick auf. Es war nicht der Lippenstift, der ihn so heiß machte, sondern die Vorstellung, dass sich hinter ihrem Mund tatsächlich ein fetter, muskulöser Wurm wand und schlängelte, der es kaum erwarten konnte, sein gieriges Maul über Muschis steifen Schwanz zu schieben und zu saugen.

Sein Blick folgte dem Abschleppwagen, wie er über die unbefestigte Piste entlang der von Unkraut und kleinen Sträuchern überwucherten Bahngleise holperte und dabei so viel Staub aufwirbelte, bis sich nur noch erahnen ließ, wie er an der Ruine des alten Kesselhauses die Schienen überquerte und hinter den Abraumhalden am Fuß des Lüderichs verschwand. Irgendetwas an dem schlammverkrusteten BMW im Schlepp des Trucks machte Muschi stutzig. Er schob die Hand unter das speckige T-Shirt und kratzte sich den schweißnassen Bauch. Die Tatsache, dass die Karre, wie an den roten und blauen Signalleuchten auf dem Dach unschwer zu erkennen, eine Bullenkutsche war, bereitete ihm kein Kopfzerbrechen. Klar, es gab Leute hier, denen würde es übel aufstoßen, wenn diese eingebildete Schlampe einen Kontrakt mit den Bullen an Land gezogen hätte, schließlich war ganz Oberbörsch davon überzeugt, dass sie mit ihrem gruseligen Schrottplatz auch so schon mehr Knete in einem Monat scheffelte, als die meisten von ihnen übers Jahr mit ihren Wohlfahrtsschecks zusammenkratzten. Wer es sich leisten konnte die alten Werkzäune der Lüderich Mine zu flicken und sogar die Tore zu erneuern, nur damit er da oben auf dem Berg seine gottverdammte Ruhe hat, der musste im Geld schwimmen.

Außerdem traute dieser zugereisten Fotze, die sich zu fein war, sich mit den Einheimischen abzugeben, ohnehin niemand über den Weg. Was sich garantiert nicht bessern würde, wenn sie nun auch noch gemeinsame Sache mit den hiesigen Bullen machte.
Da wurde Muschi schlagartig klar, was ihn an der Karre so irritierte: Die hiesige Polizei fuhr keine BMWs. Nicht einmal als Zivilfahrzeug. Auch wenn er auf seinem erbärmlichen Acker oben im Wald gerade mal so viel Gras anbauen konnte, dass es kaum für seinen eigenen — allerdings nicht eben bescheidenen — Bedarf reichte und sich sein Zeug ohnehin schlecht verkaufen ließ, weil man wegen der Schadstoffe in der Luft und im Boden solche Kopfschmerzen davon bekam, dass man eigentlich gleich den Rauch der Kohlebrände inhalieren konnte — was er zugegebenermaßen gelegentlich tat —, so machte es Red doch wie die meisten Einwohner von Oberbörsch und hielt sich tunlichst auf dem Laufenden, um die Bullen notfalls auf ein paar Meilen Entfernung erkennen zu können. Er war sich also zu hundert Prozent sicher, dass der Polizeiwagen, den die fette Miss Etepetete da gerade in ihre Festung schleppte, nicht von hier stammte.
Ob das nun gut oder schlecht war, konnte er noch nicht sagen. Aber er würde es herausfinden, so wahr sein Name Muschi Kalterer lautete.
 
Als beim Verlassen von Muschis Laden ausnahmsweise einmal weder Pech noch Schwefel ihre Schleimhäute gereizt hatten, war es Bettie tatsächlich gelungen, sich einen Augenblick lang einzubilden, sich irgendwo anders als am Eingang zum Fegefeuer zu befinden. Ganz kurz war ihr Entschluss, sich eine weiteres Mal von ihrem höllischen Schicksal freizukaufen, ins Wanken geraten, und für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie sogar die Möglichkeit in Erwägung gezogen, dass sie selbst und ihr Handeln es waren, die dieses Purgatorium am Leben hielten, dessen Flammen vielleicht nur deshalb brannten, weil sie von ihr genährt wurden. Keine Frage, die Vermessenheit dieses Gedankens würde sie teuer bezahlen müssen. Das Feuer der Schuld, das in ihren Eingeweiden schwelte, wie die giftigen Kohlebrände unter den Hügeln rund um Oberbörsch, loderte hell auf. Sie griff ins Handschuhfach und schob sich zwei Ibuprufen in den Mund. An dem verbeulten Blechschild „Serveert Altmetall & Recycling, 3 Kilometer“ bog sie links ab, querte die Bahngleise und rumpelte hinter der aufgegebenen Kokerei in den Wald. Die tiefen Spuren der riesigen Muldenkipper, deren letzte verbliebene Exemplare seit Jahren auf Wendys Schrottplatz wie auf einem Elefantenfriedhof vor sich hin rotteten, schraubten sich in langgezogenen Serpentinen den Berg hinauf und schüttelten ihren Truck jedes Mal so kräftig durch, dass ihr Kopf während der Fahrt über die alte Transportpiste mit dem der Marien-Wackelpuppe auf dem Armaturenbrett des Abschleppwagens um die Wette wackelte.
 
Vor dem breiten, grauen Stahltor mit seiner Dornenkrone aus rostigem Stacheldraht ließ das Brennen in ihrer Brust allmählich nach. Wie immer, wenn sie auf den Knopf der Fernbedienung drückte und die beiden Flügel sich quietschend öffneten, jagte ihr der Anblick des gewaltigen Seilbaggers, dessen Kran-Arm sich hinter der hochaufragenden Wand aus Fahrzeugwracks wie ein warnender Skelettfinger schwarz vor dem sanften roten Glühen des Horizonts abzeichnete, eine wohlige Gänsehaut über den ganzen Körper.




KAPITEL 3





„Climb aboard my roundabout / I am the fairground man at heart / I run the roundabout this part“
(The Idle Race – „The Skeleton and the Roundabout“)
 
Walked through a crystal maze you created
And enter values as Vikings enter
Leathered to 70's shoeboxes
Into glass, into glass
I hit roundabout
(The Fall – „Way Round“)

 
Bad Rundherum war eine gute Stadt zum Leben. Inmitten und endloser Weizenfelder gelegen, bot sie ihren knapp sechstausend Einwohnern alles, was das Herz begehrte. Entlang der Mainstreet reihten sich neben den obligatorischen Geschäften für Eisenwaren und landwirtschaftlichen Bedarf dutzende florierender Einzelhandelsläden wie Petermanns Supermarkt, die Metzgerei der Gebrüder Gundersohn und Frau Wackowskis kleiner Haushaltswarenladen wie Perlen auf einer Schnur. Bad Rundherum besaß eine eigene Post und außer den diversen Bars und Gasthäusern sogar ein paar schmucke Cafés, wo man sich nach dem Einkaufsbummel entspannen konnte. Zwar betrug die Fahrtzeit bis zur nächsten Autobahnauffahrt eine gute Dreiviertelstunden, aber die Menschen hier blieben ohnehin gerne unter sich. Sie schätzten die Ruhe, die nur vom bunten Treiben des montäglichen Wochenmarkts unterbrochen wurde. Eine Ruhe, auf die Oberkomissar Gus Falko, den die Einwohner von Bad Rundherum wegen seiner Wild-West-Leidenschaft nur "Scheriff" nannten, mit Fug und Recht stolz war. Denn wie einige andere Orte in der Umgebung, war auch Bad Rundherum nicht von der erbarmungslosen Zerstörungswut des Jahrhunderthochwassers vom 15. Mai 1998 verschont geblieben, auf die damals eine Abwanderungsrolle beispiellosen Ausmaßes folgte. Bis Ende der Siebzigerjahre hatte die Stadt mehr als 1500 Einwohner verloren. Aber während in vielen der von der Flut gebeutelten und wirtschaftlich ausgebluteten Nachbargemeinden das Verbrechen aufgeblüht und in den Brachen rund um Städte wie Ölwein oder Kleindubrau die Drogenküchen wie giftige Pilze aus dem Boden geschossen waren, weshalb diese Gegend noch heute über die Staatsgrenze hinaus als Pillenland berüchtigt war, musste man in seinem über alles geliebtes Bad Rundherum nach Spuren dieser Pest lange suchen. Ein Verdienst, das Gus sich zu einem Gutteil auf die eigene Fahne schrieb. Es war unbestritten seinem Engagement zu verdanken, dass die leerstehenden Hallen und Ruinen südlich der Nieskyer Straße heute größtenteils hübschen Einfamilienhäuschen gewichen waren. Gus persönlich hatte die Bürgerwehr aufgestellt, die unter Anleitung seiner Mitarbeiter rund um die Kanalstraße - wie die Einheimischen jene Schneise der Verwüstung getauft hatten, die sich mitten durch das ehemalige Industriegebiet am Ufer der Neiße zog - auf Patrouille gegangen war, und mit dem Gesindel, dass sich dort in den Jahren zuvor eingenistet hatte, gründlich aufgeräumt hatte. Darüber, wie ihnen das genau gelungen war, hüllten sich alle Beteiligten in Schweigen, und Gus war fest entschlossen, weiterhin dafür Sorge zu tragen, dass das auch so blieb.

Die Flut lag inzwischen mehr als zwanzig Jahre zurück, Gus erfolgreicher Kampf gegen den auf die Naturkatastrophe folgenden Niedergang seiner Heimatstadt auch schon eine halbe Ewigkeit und das er zum Vergleich ständig irgendwelche überholten Cowboy- und Indianer-Metaphern bemühte, wurde von vielen seiner Schutzbefohlenen belächelt, aber im Großen und Ganzen genoss Gus auch im fortgeschrittenen Alter weiterhin ihren ungeteilten Respekt.  Noch immer legte sich die hohe Stirn über seiner Adlernase in Sorgenfalten, wenn er an die galoppierende Arbeitslosigkeit dachte, die damals über Bad Rundherum hereingebrochen war. Die eigentlichen Verwüstungen hatte das Hochwasser nicht an den Gebäuden und der Infrastruktur sondern der Wirschaft seiner heißgeliebten Heimatstadt angerichtet. Die Bahngleise so gründlich unterspült, dass es den Sturm, der auf die Regengüsse folgtem kaum Mühe kostete, die Schienen der Schmalspurstrecke aus ihrem Schotterbett zu heben, und mit ihnen kreuz und quer durch den maroden Komplex der Runderherum Gummi Werke zu pflügen, bis von Bad Rundherums größtem Arbeitgeber – ursprünglich eine Reifenfabrik, in deren Werkhallen damals längst nur noch Kondome und Dildos hergestellt wurden - weiter nichts als Trümmer übrig geblieben waren. Als die Betreiber der Bahnlinie daraufhin beschlossen hatten, die unrentable Seitenstrecke nicht wieder instand zusetzen und auch die Forderung des Stadtrats nach einer Anbindung an die Autobahn abschlägig beschieden wurde, war Rundherums Ära als Gummi-Hauptstadt der Lausitz mit einem Schlag beendet gewesen. Den wenigen Zulieferern und unabhängigen Betrieben, denen nicht bereits die Flut die Lebensgrundlage entzogen hatte, war über kurz oder lang wenig anderes übrig geblieben als Konkurs anzumelden oder sich einen neuen Standort zu suchen. Nicht lange nach dem Desaster hatte ein gutes Drittel von Gus' Schäfchen ohne Beschäftigung dagestanden. Die meisten von ihnen sollten sich früher oder später dem Exodus ihrer ehemaligen Arbeitgeber anschließen, doch bis dahin ergingen sie sich ob der Aussichtslosigkeit ihrer Lage zu weiten Teilen in jenen Formen passiv aggressiven Müßiggangs, die Gus aus seiner Jugend nur allzu bekannt vorkamen. Während die Alten ihre Tage in den Bars vertrödelten wo sie nicht selten Haus und Hof in Bier und Schnaps umsetzten zog es die Jugend in die verfallenden Gebäude entlang der Kanalstraße. Die Industrieruinen, die den Generationen ihrer Eltern und Großeltern ein mit sentimentalen Erinnerungen aufgeladenes Symbol der Ausweglosigkeit war, erschien ihnen als Verheißung von Freiheit. Ein verwunschener Tummelplatz voller Verstecke und Möglichkeiten.
 
Als Gus es schließlich leid gewesen war, von seinem Stammplatz, einer ehedem weißen Holzbank in dem ehedem gepflegten, kleinen Park-Rondell gegenüber der Polizeiwache, dem Bad Rundherum seinen Namen zu verdanken hatte, zuzusehen, wie die ehedem belebte Hauptstraße allmählich immer weiter ausstarb, bis sie sich überhaupt nur noch mit Leben füllte, wenn Ende September die verstaubten Traktoren der Farmer die Weizen-Ernte zur Genossenschaft karrten, während sich vor den Spelunken in den Nebenstraßen Abend für Abend die Dealer rumdrückten und die Besoffenen prügelten, hatte der Ort sich längst einen mehr als zweifelhaften Ruf erworben. Aus  Gummi-Hauptstadt der Lausitz war das heimliche Drogen- und Säufer-Paradies der Lausitz geworden. Schlimmer noch: Die florierende Schattenwirtschaft aus  Pillenvertrieb und -verkauf hatte schon bald nicht mehr in den Händen diverser, ihm wohlbekannter schwarzer Schafe aus seiner Herde gelegen, die mit ihren Geschäften vor allem den eigenen Konsum – nicht nur den von Haschisch, sondern auch den von Alkohol – finanzierten. Immer häufiger war der Sheriff in seiner Stadt wildfremden Gestalten in Autos mit tschechichen und polnischen Nummernschildern begegnet, die zwar genauso zugedröhnt wie Bad Rundherums zahlreiche Säufer und Drogies, aber außergewöhnlich unkommunikativ waren.  
 
     Eines Sonntagmorgens hatte Gus Falko gerade auf seiner Parkbank gesessen, sich den von den Traktoren-Gespannen aufgewirbelten Staub von seiner akkurat gebügelten, kastanienbraunen Uniformhose geklopft und war von seinem milden Ärger ob des ungehemmten Wildwuchses der Rosenstöcke um ihn herum einmal abgesehen, durchaus bester Dinge gewesen, weil das spätsommerliche Gebrüll der Dieselmotoren ihm immer die Illusion einer prosperierenden Wirtschaft vermittelte, als Herb Ripp, ehemals Prokurist bei den Rundherum Gummie Werken und Vater zweier halbstarker aber gänzlich debiler Söhne, sich neben ihm niederließ. Herb hatte ihn freundlich lächelnd aus seinen wässrigen, grauen Augen angesehen, ihm den schlaffen Arm um die Schultern gelegt und sich dann mit dem Grunzen einer verendenden Preissau über das Walkie-Talkie in Gus’ Schoß erbrochen. In diesem Moment hatte der Sheriff den Entschluss gefasst, sich der eklatanten Missstände in der Stadt unverzüglich anzunehmen.
Er hatte Herb in die Ausnüchterungszelle verfrachtet, und während der Ex-Prokurist seine Rausch ausschlief, war er zu Heike's Trinkhalle marschiert, um die beiden Wachtmeister Igor Bogdanoff und Richard Preier an den Ohren zur Polizeistation zu zerren.
   


KAPITEL 4




 
Yes, I been there before
I don't need to go back no more.
I'm just a family man, like it or not,
I am a family man.
I'm a-holding onto what I've got.
(James Taylor – „Family Man“)
 
 
 
Herb Ripp konnte sich heute nur noch nebulös daran erinnern, wie Gus Shakehands ihn damals von der Pritsche der Ausnücherungszelle gescheucht hatte, in der nun wieder einsaß. Der Komissar hatte ihm erst zum Chef der Bürgerwehr ernannt, bloß um ihm und den beiden  Polizisten einen Vortrag zu halten, den diese offenbar nicht zum ersten Mal hörten: Genau wie Herb hatten sie, den Blick aus rotgeäderten Augen zu Boden gesenkt, schwitzend, zitternd und wie eine leckende Destille stinkend, dagestanden. Aber im Gegensatz zu ihm, der während des Vortrags immer noch nicht so ganz verstand, wie ihm geschah, hatten die beiden ganze Sätze des enden wollenden Monologs halblaut mitgemurmelt, der nicht nur sie drei, sondern die ganze Stadt und deren dringend nötige Rettung aus den Klauen verbrecherischer Eindringlinge zum Thema hatte. Er, Gus Falko, würde um nichts in der Welt zulassen, verkündete der Komissar ihnen vollmundig, dass eine Bande Raubtierkapitalisten sein Bad Rundherum mittels heimtückischer Waffen wie Drogen und Alkohol in einen zweites Wounded Knee verwandelt.

Erst, als er wieder zuhause am Küchentisch gesessen und sich, inmitten des Chaos, das dort wie ein Krebsgeschwür wucherte, seit seine Frau Ethel drei Monate zuvor im offenen Mazda Cabrio eines Handelsvertreters für Ehehygiene davongebraust war, verdutzt an den albernen Scheriffstern gefasst hatte, dämmert Herb, dass es dem Komisssar nicht bloß darum gegangen sein konnte, ihm und seinesgleichen wegen ihres Lebenswandels die Ohren lang zu ziehen. Oh nein, der Häuptling der Bügelfaltenindianer — wie er und seine Saufkumpanen Gus hinter vorgehaltener Hand nannten — hatte ihm tatsächlich einen Job übertragen. Zwar fand Herb die Vergleiche des Scheriffs ziemlich weit hergeholt, zumindest konnte er unter keinem der abgerissenen Dealer einen Mann mit dem mörderischen Potenzial des Indianerkillers Colonel James William Forsyth ausmachen, und die Bürger von Roundabout mit einer aufständischen Sekte der Lakota zu vergleichen, wie Gus es getan hatte, schien ihm ebenfalls unangemessen weit hergeholt. Aber er hatte sich selbst lange genug in den dunklen Ecken der Stadt herumgetrieben, um einzusehen, dass die jüngsten Entwicklungen, die er dort hautnah miterleben durfte, dem Wohle von Bad Rundherum nicht unbedingt zuträglich waren - weshalb er sich ob des unerwarteten Vertrauensbeweises durchaus gebauchpinselt fühlte.
 
Ein Satz von Gus war Herb allerdings heute noch im Gedächtnis, als hätte er ihn erst gestern gehört. „Herb“, hatte Gus ihn angeraunzt, bevor er ihm seinen grandiosen Aktionsplan offenbart hatte, „ob du es glaubst oder nicht, aber ich habe jahrelang große Stücke auf dich gehalten. Und auch wenn es mich traurig macht, zu sehen, was aus dir geworden ist, so muss ich mir leider eingestehen, dass ausgerechnet du verwahrloster Penner zu den Wenigen hier gehörst, die sich zumindest bemühen, regelmäßig ihre Zeche zu zahlen.“ Herb war so clever gewesen, nicht weiter zu hinterfragen, ob das allein wirklich Qualifikation genug war, ihn zum "Hilfscheriff" zu ernennen, weshalb er erst sehr viel später begriffen hatte, dass Gus Falkos Wahl vor allem deshalb auf ihn gefallen war, weil Herbs missratene Zwillinge bekanntermaßen zu den Rädelsführern des illegalen Treibens entlang der Kanalstraße gehörten, wo in jenen Tagen längst ein regelrechter Bandenkrieg tobte. Gus hatte mit Herbs Ernennung also vor allem darauf gesetzt, dass sich als neuernannter "Ordnungshüter" beflissen sehen würde, seinen Nachwuchs an die Kandare zu nehmen. Ein Plan, der aufgrund von Herb Ripps ausgeprägtem Familiensinn nicht ganz so glatt aufgegangen war, wie der Kommissar sich das vermutlich erhofft hatte.
 
    Herb erinnerte sich noch genau, wie er mit Gus auf seine erste Patrouille gegangen war. Der Scheriff hatte ihm das Handfunkgerät mit den mahnenden Worten in die Hand gedrückt, dieses sündhaft teure Stück feinster Fernsprechtechnik sei Eigentum der Polizei, weshalb Herb es doch nach Möglichkeit etwas pfleglicher behandeln möge als beispielsweise seine Leber. Nach der Nacht in der Zelle hatte Herb den ganzen Tag an einem mörderischen Kater zu laborieren und nachdem er einmal in das Funkgerät gesprochen hatte, stank das Ding so penetrant nach seiner eigenen Kotze, dass der neu ernannte Hilfspolizist kurz davor stand, sich erneut zu übergeben, wenn er es an die Wange führte. Es war ein beschissener Tag gewesen, aber zum ersten Mal seit einer Ewigkeit, hatte Herb wieder so etwas wie Selbstachtung empfunden. 
 
    Nun, im Juli des Jahres 1991, hockte Herb Ripp wieder in der linken Zelle der Polizeiwache von Bad Rundherum auf der Kante der schmalen Pritsche und betrachtete sein Spiegelbild im glänzenden Stahl der Toilettenschüssel. Wie vor ziemlich genau zwanzig Jahren trug er einen seiner heißgeliebten taubenblauen Anzüge und wie vor zwanzig Jahren war sein Anzug auch heute wieder von oben bis unten besudelt. Allerdings hatte diesmal nicht sein eigenes Erbrochenes den teuren Gabardine-Stoff ruiniert, sondern das Blut eines Anderen. Das Blut eines Fremden. Und statt wie früher von Gus mit einem anerkennenden Schulterklopfen dafür belohnt zu werden, dass er es vergossen hatte, war er von dem alten Scheriff hinter Schloss und Riegel gesperrt worden. Herb Ripp verstand die Welt nicht mehr. Da hockte er nun und fragte sich, warum an seiner Stelle nicht dieser unverständlichen Nonsens brabbelnde Koloss mit dem Schnauzbart und dem albernen Ringeltrikot hier drinnen schwitzte. Stattdessen lag das Riesenbaby weiterhin bäuchlings vor dem einzigen Geldautomaten der Stadt auf der Straße und belästigte die braven Einwohner von Bad Rundherumt, indem er den Verkehr aufhielt. Okay, Herb hatte seinen Scheriffstern schon vor Jahren abgegeben müssen. Möglicherweise hatte er seine Befugnisse also ein wenig überschritten, als er mit seinem Aktenkoffer nach dem Zirkusriesen geschlagen hatte, aber zum einen hatte das tumbe Monstrum nur ein paar Schneidezähne verloren, und zum anderen war er, Herb Ripp, der gottverdammte Bürgermeister dieser Stadt. Wo kämen wir den hin, wenn diese Leute sich überall in Roundabout aufführen würden, wie sie es in den Schlafzimmern ihrer rollenden Barracken taten. Was käme wohl nächstes? Akrobaten, die wie Fledermäuse an den Oberleitungen hingen? Clowns, die sich vor dem Kindergarten Heroinspritzen setzen? Kopulierende Zwerge im Maislabyrinth?
Gott, wie sehr er dieses fahrende Volk hasste. Und das nicht erst seit heute. Mehr denn je bereute er, das nomadisierende Diebesgesindel nicht schon an jenem düsteren Tag aus seiner Stadt verjagt zu haben, als es zum ersten Mal hier aufgetaucht war. 



KAPITEL 5





Der Anruf erreichte Gesine beim Aufbau des Pferdestalls. Es  hatte ungewöhnlich lange gedauert, bis die acht Leichtmetallmasten der Zeltkonstruktion schließlich standen, unter der Gesines vierbeinige Lieblinge den dringend nötigen Schutz vor Schnee und Regen finden sollten. Der lehmige Boden auf dem Platz am Flussufer war so durchweicht, dass die Füße der Tragemasten keinen Halt fanden und immer wieder wegrutschten, ganz zu schweigen davon, dass es schier unmöglich schien, die Heringe, mit denen das Gerüst vertäut wurde, in den matschigen Untergrund zu schlagen. Es war eine elende Plackerei, und dies war erst der Anfang: Vom eigentlichen Zirkuszelt waren bislang bloß eine Reihe aufgesprühter, neongelber Farbmarkierungen zu sehen.

Der Anrufer sagte, er versuche bereits seit gut zwei Stunden sie zu erreichen, der Anschluss wäre jedoch durchgehend besetzt gewesen. Kein Wunder: Gesine hatte den halben Nachmittag am Telefon gehangen, um irgendwo in der näheren Umgebung Hafer und Heu für ihre Pferde aufzutreiben, aber alles, was die hiesigen Farmer ihr anbieten konnten, war hartes, schwer verdauliches Stroh, und das Risiko von Koliken wollte Gesine um nichts in der Welt eingehen. Kaum hatte sie den Hörer für zwei Minuten aus der Hand gelegt, um am Pferdestall selbst mit anzupacken, kam Tito der transusige Weißclown hinter ihr her gestolpert, um sie mit seiner weinerlichen Stimme zu informieren, sie möge bitte sofort in den Bürowagen ihres Großvaters zurückkehren, dort warte ein dringendes Telefonat auf sie. Als sie das schummrige Innere des Wagens betrat, in dem sich die vielfarbigen Strahlen, der durch die bleiverglasten Fenster hereinfallenden Nachmittagssonne zu einem wirren Lichtmikado stapelten, sah der Alte sie sorgenvoll an. Der nachlässig in den Nacken geschobene Zylinder, die vor ihm auf dem Schreibtisch liegende runde Nickelbrille, die zusammengezogenen, buschigen Augenbrauen und die glänzenden Schweißperlen auf der furchigen Stirn: Das alles verhieß nichts Gutes. Gesines neu erwachte Hoffnung, die Pferde heute Abend womöglich doch noch mit etwas anderem, als einer kargen Ration Trockenfutter versorgen zu können, verflüchtigte sich beim Anblick des Zirkusdirektors auf der Stelle. Wortlos reichte er ihr den Telefonhörer. Die kratzige Stimme am anderen Ende der Leitung verströmte eine natürliche Autorität. Ihr Tonfall war nicht direkt harsch aber bestimmt. Sie gehörte einem älteren Herrn, und schon nach wenigen Worten war Gesine klar, dass ihr Gesprächspartner keinen Widerspruch gewohnt war. „Ja, hallo?“, fragte sie zögernd.
     „Gesine Schiffmann?“, sagte der Mann - es war weniger eine Frage als eine Feststellung -, ohne eine Reaktion ihrerseits abzuwarten. „Mein Name ist Gus Falko, Hauptkommissar Gus Falkos.“
     Gesinekannte den Kommissar. Der Zirkus machte seit einer halben Ewigkeit Jahr für Jahr in Bad Rundherum Station und seit sie hier gastierten, war Falko der oberste Gesetzeshüter des Landkreises. Ihr Großvater und der Kommissar waren sich nicht ganz grün, auch wenn der Direktor das niemals zugeben würde, aber Rita konnte den alten Herrn, der sie großgezogen hatte, lesen wie ein offenes Buch, und sie wusste, dass sich hinter der distanzierten Höflichkeit, die er bei Begegnungen mit Falko an den Tag legte, nichts als pure Abneigung verbarg, die in Anbetracht des unterkühlten Auftretens seines Widerparts zweifellos auf Gegenseitigkeit beruhte. Gesine gegenüber war der Kommissar allerdings immer außerordentlich freundlich gewesen und hatte mehr als einmal mit Kennermine ihre prächtigen Mustangs gelobt.
     „Ich weiß, wer Sie sind, Herr Kommissar. Wir sind uns gelegentlich begegnet. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?“             
     „Das hoffe ich schwer, Miss Schiffmann. Ich habe Ihre Nummer von einem gewissen Dietmar Dinslaken.“
     Die Art, wie Falko Dietmars Namen betonte - er überdehnte die Vokale so stark, dass es regelrecht angewidert klang - ließ Gesine erschauern. Augenblicklich befiel sie ein Anflug von Panik.
     „Dietmar ist doch nichts zugestoßen, oder? Hat er irgendetwas angestellt?“
     Gesine hatte Dietmar bereits in jener Nacht in ihr Herz geschlossen, als dieses gewaltige Riesenbaby nach einer Abendvorstellung mutterseelenallein auf dem obersten Rang im dunklen Zelt saß und gedankenverloren Fučiks „Einzug der Gladiatoren“ vor sich hin summte. Sie war damals neun Jahre alt gewesen und doch fühlte es sich von Anfang an so an, als hätte sie den mehr als doppelt so alten Dietmar adoptiert. Obwohl der hünenhafte Junge aus gut zwei Meter Höhe auf sie herabblickte, so sah er doch eigentlich voller Bewunderung zu ihr auf. Und die kleine Gesine behandelte ihren neuen Liebling mit der gleichen mütterlichen Fürsorge und wohlmeinenden Strenge, die sie auch ihren Pferden angedeihen ließ – was dieser ihr dankte, indem er so gut wie nie von ihrer Seite wich.
     „Miss Schiffmann, ich versuche seit vier Uhr, Sie zu erreichen. Erfolglos. Offenbar haben Sie gerade eine Menge fernmündlich zu bereden. Meinen Sie tatsächlich, ein vielbeschäftigter Mann wie ich, würde seine Zeit wie ein Waschweib am Telefon vertrödeln, wenn es nicht um eine ernste Sache ginge?“ So grob hatte sich der Kommissar ihr gegenüber bisher noch nie verhalten – der Mann war ganz offenbar nervös. „Tut mir leid, wenn ich mich im Ton vergriffen habe. Aber gehe ich recht in der Annahme, das dieser Herr Dinslaken mit Ihrem Unternehmen assoziiert ist?“
     „Wenn Sie darauf hinaus wollen, dass er hier im Zirkus arbeitet, dann kann ich das bejahen, Herr Kommissar. Und jetzt seien Sie doch bitte so gut und klären mich auf, was denn eigentlich los ist.“
     „Ihr Herr Dinslaken liegt seit heute Mittag auf der  Hauptstraße von Bad Rundherum und weigert sich strikt, sich von dort wegzubewegen.“ 
     „Oh, mein Gott. Geht es ihm gut? Ist er verletzt?“
     „Abgesehen von zwei Zähnen, die er bei einer Auseinandersetzung mit unserem ehrenwerten Bürgermeister verloren hat, den ich aufgrund der wüsten Drohungen Ihres Kollegen gegen Mr. Ripps Leib und Leben in Schutzhaft nehmen musste, scheint er mir bei bester Gesundheit zu sein. Allerdings will er mit niemandem außer Ihnen reden, weshalb ich Sie bitten möchte, sofort zu mir ins Büro zu kommen. Bis auf Weiteres haben wir  zwei Polizeibeamte abgestellt, um dafür zu sorgen, dass Herr Dinslaken nicht noch größere Probleme verursacht. Die Details des Vorfalls erkläre ich Ihnen dann, sobald Sie vor Ort sind.“
     Während der alte Landrover erst die steile Böschung hinauf und dann die narbige Piste der Kanalstrasse entlang schaukelte, versuchte Gesine, sich einen Reim auf die Aussagen des alten Polizisten zu machen, wurde aber einfach nicht schlau daraus. Statt Antworten zu finden, taten sich, je länger sie darüber nachdachte, immer neue Fragen auf. Warum sollte Dietmar, der in seinem Leben keiner Fliege etwas zu Leide getan hatte, den Bürgermeister bedrohen und sich gar mit ihm prügeln? Und weshalb saß Ripp nun in Schutzhaft? Dietmar konnte, wenn er sich weigerte, aufzustehen, ja wohl kaum eine Bedrohung für den Mann sein, solange dieser sich nicht willentlich in dessen unmittelbare Nähe begab. Na gut, Gesine konnte durchaus nachvollziehen, dass jemand, der ihren Dietmar nicht kannte, sich von dessen massiger Präsenz eingeschüchtert fühlte, aber bedroht? Das war eine völlig absurde Vorstellung. Ganz gleich, wie man es drehte und wendete: Falkos' wirres Gerede ergab von vorne bis hinten keinen Sinn.
     Rechts und links von ihr zogen die Ruinen der Rundherum Gummi Werke, der alten Reifen-Fabrik vorbei, welcher – wie ihr Großvater ihr mal erklärt hatte – der Ort seinen Namen zu verdanken hatte. In ihrer Mitte, oberhalb des Flusses, ragten die düsteren Ziegelwände der beiden einzig verbliebenen Produktionshallen auf. Einem einsam zwischen den Gebäuden geparkten, rostigen Gabelstapler nach zu urteilen, wurden sie inzwischen als Lager genutzt. Trotzdem wirkten sie irgendwie verwaist, regelrecht geisterhaft, wie sich das Mondlicht in ihren stumpfen, eingeschlagenen Scheiben spiegelte – so ganz anders, als in Gesines Erinnerung. In ihrer Kindheit hatte der Zirkus die Hallen als Winterquartier genutzt, zwischen den bunt bemalten Holzwagen, die damals noch einen Großteil des Zirkuseigenen Fuhrparks ausgemacht hatten, flatterte die Wäsche im Wind, überall herrschte reges Treiben, es wurde angestrichen, gewerkelt, und renoviert. Selbst um diese Zeit, am späten Abend, hatte in den von gewaltigen Lüftern beheizten Hallen noch Licht gebrannt, weil dort rund um die Uhr das Programm für die kommende Saison geprobt wurde.
     Der triste Eindruck wandelte sich augenblicklich, als Gesine das ehemalige Industriegebiet verließ und ihr Wagen die ersten Wohnhäuser passierte. Roundabout hatte sich in den letzten zehn Jahren wirklich zu einem schmucken Städtchen gemausert. Einfamilienhäuser mit strahlend weißen Gartenzäunen und im Licht der Verandalampen leuchtenden bunten Fähnchen säumten die Straßen. In vielen der gepflegten Vorgärten lag Kinderspielzeug, in den Garagenauffahrten standen Kombis und Fahrräder. Einmal musste Gesine kräftig auf die Bremse treten, weil eine gut genährte, getigerte Katze aus einer Buchsbaumhecke auf die Fahrbahn sprang, deren reflektierende Augen sie sekundenlang anstarrten, bevor das Tier sich in aller Seelenruhe das Fell leckte, um dann durch eine Klappe in der Tür des gegenüberliegenden Hauses zu verschwinden. Die wahrscheinlich schönste Blume der Prärie war zwischen Sehnsucht und Abscheu hin und her gerissen angesichts der vermutlich klischeehaftesten Inszenierung von Familienidyll, die ihr außerhalb der TV-Seifenopern ihrer frühen Kindheit begegnet ist. Tatsächlich erinnerte sie das nächtliche Roundabout frappierend an das verlassene Set eines Außendrehs von „Brady Bunch“ oder „Family“. Noch während Gesine sich irritiert fragte, ob es in diesen Serien überhaupt Außenaufnahmen gab, lagen die Wohngebiete auch schon hinter ihr und sie hatte das „Stadtzentrum“ erreicht. Auch hier war alles so ruhig, dass sie sich schuldbewusst nach etwaigen Zeugen ihrer nächtlichen Ruhestörung umblickte, als sie mit quietschenden Reifen in die Mainstreet einbog und der dabei aufgewirbelte Split gegen das Innere ihrer Radkästen trommelte. Und tatsächlich meinte sie, aus der Miene zweier gesetzter Herren, die sich beim Verlassen des Grillrestaurant Adria die prallen Bäuche rieben, einen stummen Vorwurf herauslesen zu können. So menschenleer die hinter ihr liegenden Straßen waren, so belebt war es hier, wo in der Wärme der Sommernacht immer wieder kleine Grüppchen vor den pittoresken Ziegel-Fassaden der Bars und Restaurants im gelben Schein der gusseisernen Laternen auf den Gehsteigen beisammenstanden, schwatzten und rauchten.
Gesine drosselte das Tempo und steuerte den verbeulten Geländewagen um das Rondell herum. Der winzige Park in der Straßenmitte dämmerte im Schutz seiner dichten Sträucher und Hecken wie eine verwunschene Insel vor sich hin. Unberührt von den Lichtkegeln der Straßenbeleuchtung schien er in einem tiefen Dornröschenschlaf versunken zu sein. Sollte Bad Rundherum heutzutage noch irgendwelche Wunder und Geheimnisse bereithalten, dann vermutlich verborgen im Schatten der mächtigen Eiche, deren knorrige Äste aus dem Dickicht heraus nach dem dunklen, wolkenlosen Himmel griffen. Gesine parkte gegenüber der Westseite des Rondells direkt vor der Polizeiwache. Zwar brannte hinter den Fenstern im Erdgeschoss des schmalen, dreigeschossigen Hauses noch Licht, aber die massive, dunkelgrün lackierte Holztür war abgeschlossen, und auch nach mehrmaligem, lautem Klopfen rührte sich dahinter nicht das Geringste. Dafür erntete Gesine weitere missbilligende Blicke, diesmal von einem auffällig modisch gekleideten Pärchen mittleren Alters, das sich offenbar bei einem spätabendlichen Schaufensterbummel entlang der Handvoll Boutiquen, Antiquitätenläden sowie Bad Rundherumss einziger Buchhandlung vergnügte, die inzwischen dort residierte, wo vor zwanzig Jahren noch schäbige 1-Euroläden und Absturzkneipen das Stadtbild geprägt hatten. So satt und friedlich dies alles erschien: Irgend etwas an dieser Szenerie bewirkte, dass sich Gesines Nackenhärchen aufrichteten. Wie die verlassenen Vorgärten, hatte auch die nächtliche Hauptstraße trotz der Menschen etwas Kulissenhaftes. Gesine fühlte sich wie ein Bühnenarbeiter, der in der Hektik der Vorstellung durch die falsche Türe tritt und ehe er sich versieht, umgeben von zwei Dutzend stur an ihren mickrigen Rollen festhaltenden Komparsen, im Scheinwerferlicht steht. Ihr Unbehagen ging deutlich über die instinktive Abneigung des fahrenden Volks gegen das müßige Reviergehabe gehobener Kleinstadtmittelständler hinaus: Unter der polierten Oberfläche dieses selbstverliebten Nestes lauerte etwas, das sie nicht bloß als beklemmend, sondern als geradezu beängstigend empfand. Und was, zur Hölle nochmal, war ihrem Dietmar hier zugestoßen? Wo steckte der verdammte Kommissar? Das stank doch zum Himmel wie Elefantendurchfall. Alarmiert drehte sie sich auf dem Treppenabsatz herum und ließ den Blick suchend über die Straße schweifen, da löste sich aus der schwarzen Silhouette des Parks ein einzelner Schatten und bewegte sich zielstrebig auf sie zu. Mit den 8 cm hohen Absätzen ihrer roten Westernstiefel über die Fußmatte stolpernd wich sie zurück, bis ihr der Türknauf in ihrem Kreuz mit einem bohrenden Schmerz signalisierte, dass es nicht mehr weiter ging.
 
 
***
 
 
Der Riss war jetzt fast so breit wie seine Hand. Trotzdem musste Dietmar sich auf die Finger- und Zehenspitzen stemmen. Er bog den Hals herab, bis er Angst bekam, sich jeden einzelnen Wirbel auszurenken. Sein Kinn presste er dabei tief in die behaarte Brust. Nur so konnte er den klaffenden Spalt, der sich auf Gürtelhöhe im Zickzackkurs unter seinem Bauch hindurchzog zumindest erahnen. Es war einfach zu dunkel und die nächste Straßenlaterne befand sich genau so weit entfernt, dass ihr Lichtkegel noch eben die hagere Gestalt des Polizeibeamten streifte, der vor ihm in einem niedrigen Campingstühlchen hockte und mit starrem Blick seine Schirmmütze zwischen den Fingern hin und her drehte. Der Mann sah aus, als säße er an einem Autorennsimulator in der Spielhalle. Das plötzliche Quietschen von Reifen und sich nähernder Motorenlärm machten die Illusion perfekt. Dietmar hatte eine Schwäche für Rennspiele. Um nichts in der Welt würde er sich hinter das Lenkrad eines echten Autos wagen - er besaß ja auch gar keinen Führerschein. Aber bei diesen Videospielen konnte schließlich nichts passieren. Und obwohl man sich in Wirklichkeit nicht vom Fleck bewegte, hatte man das Gefühl zu fahren. Dietmars Puls raste dabei vor Aufregung immer schneller als sein Rennauto. Der Polizist machte dagegen eher den Eindruck, als würde er jeden Moment vor Langeweile einschlafen. Immer wieder sanken ihm die Hände mit der Mütze in den Schoss und gelegentlich fielen ihm sogar die Lider zu. Jetzt zum Beispiel. Doch da knallte in knapp fünfzig Meter Entfernung eine Autotür und er schreckte wieder auf. Der Beamte verfügte über das Gehör eines Luchses. Und über Augen wie ein Adler. Das hatte er Walton erzählt, nachdem er seinen Kollegen nach Hause geschickt hatte. „Du hast also nicht die leiseste Chance, dich aus dem Staub zu machen“, hatte er Dietmar versichert, während er Zeige- und Mittelfinger spreizte, um damit erst an die gelblichen Kunststoffgläser seiner kastenförmigen Hornbrille zu tippen und dann mit beiden Fingern auf ihn zu zeigen, „mir ist noch nie einer entwischt.“ Dietmars erneute Beteuerung, er der Polizist müsse keine Angst haben, er würde ihn ganz sicher nicht alleine lassen, immerhin müsse er den Planeten zusammenhalten, ignorierte der Beamte. Genau so, wie er den Befehl des Kommissars mehr oder weniger ignoriert hatte. Der lautete zwar zuvorderst, „dafür zu Sorge zu tragen, dass es nicht zu weiteren Handgreiflichkeiten mit verärgerten Bürgern kommt“, aber eben auch, „diesen sturen Riesen gewaltfrei davon zu überzeugen, seine mutwillige Blockade des rechten Fahrstreifens der Haupteinkaufsstraße von Bad Rundherum möglichst umgehend aufzuheben.“ Der einzige Versuch des Polizisten, dieser Anordnung Folge zu leisten, hatte darin bestanden, seinem Schutzbefohlenen einen Fußtritt in den Hintern zu versetzen. Nach Dietmars Verständnis war dieser Fußtritt zum einen nur schwerlich als gewaltfrei zu bezeichnen und widersprach zum anderen auch irgendwie dem ersten Teil des Befehls. Wobei Dietmar sich unsicher war, ob Polizisten wirklich zu den Bürgern gerechnet wurden.
    Als der Beamte nun wie von der Tarantel gestochen aus dem Klappstuhl schoss, um den Verursacher der nächtlichen Ruhestörung auszumachen, hatte auch Dietmar freien Blick die Straße hinab und erkannte im Lichtschein der Schaufensterbeleuchtung in dem bulligen Fahrzeug, das auf Höhe des Rondells quer über zwei Parkplätze mit der Schnauze auf dem Gehweg stand, sofort den alten Zirkus-Landrover. Während der Polizist seine Brille abnahm, sich den Schlaf aus den Adleraugen rieb und das klobige Kassengestell wieder aufsetzte, um danach genauso ergebnislos in die Nacht zu glotzen wie zuvor, hatte Dietmar inmitten der überschaubaren Zahl von Menschen, die um diese Zeit noch die Mainstreet bevölkerten, in Sekundenbruchteilen die Fahrerin des Wagens gefunden. Er hätte Gesine selbst Silvester auf dem Time Square entdeckt, und das nicht nur wegen ihres knallroten Cowgirl-Kostüms. Sie stand nur ein paar Meter vom Auto entfernt und hämmerte mit beiden Fäusten gegen eine Tür, bis sie schließlich die Arme sinken ließ um anschließend eine gefühlte Ewigkeit auf der Türschwelle zu verharren. Als sie sich schließlich herumdrehte, schien die geballte Energie, mit der sie eben noch auf Türe eingedroschen hatte, wie verpufft. Mit hängenden Schultern starrte sie auf die Straße hinaus, drehte den Kopf mal nach rechts, mal nach links. Walton dämmerte gerade, dass sie vermutlich nach ihm suchte, wobei er erst ein seltsam warmes Kitzeln im Bauch spürte, bevor sich sein schlechtes Gewissen meldete - da stolperte Gesine urplötzlich rückwärts. Irgend etwas schien ihr Angst einzujagen. Er folgte ihrem Blick und sah, was sie so erschreckt hatte: Aus den Büschen des gegenüberliegenden Parks trat eine schemenhafte Gestalt hervor, die sich nun bedrohlich langsam und von den Passanten offenbar unbemerkt auf seine beste Freundin zu bewegte. Unter Aufbietung all seiner Willenskraft kämpfte Dietmar gegen den übermächtigen Drang, Gesine sofort zur Hilfe zu eilen. Die Gestalt aus dem Park hob den Arm, richtete ihn auf Gesine und fuchtelte mit einem Gegenstand herum, der in Dietmars Augen verdammt nach einer Waffe aussah. Hin und her gerissen, zwischen dem Wunsch, Gesine zu beschützen, und dem Wissen, dass er seinen Standort auf kein Fall verlassen, ja, ohne loszulassen nicht einmal aufstehen konnte, um sich bemerkbar zu machen und sie zu warnen, begann der geringelte Riese lautstark zu hyperventilieren. Unter seinem zitternden Schnauzbart kroch ein gequältes Wimmern hervor. Womit er die Aufmerksamkeit des Polizisten weg von der nächtlichen Ruhestörung wieder auf sich lenkte. Ein schadenfrohes Grinsen in seinem Wieselgesicht ging der Beamte in die Hocke und tätschelte Dietmar die Wange. „Na, was ist los, Fettsack“, fragte er, „musst du etwa pissen?“ Just in diesem Augenblick spürte Dietmar etwas Warmes seinen Unterleib hinaufkriechen. Feuchte Dampfschwaden durchnässten sein Trikot und gerade als ihm klar wurde, dass deren Quelle nur der Riss im Boden sein konnte, raubte ihm ein übler Gestank den Atem. Auch der Polizist rümpfte angewidert die Nase. „Wohl eher was Größeres, was?“, würgte er hervor und wich auf den Bürgersteig zurück – nicht ohne ihm vorher einen weiteren kräftigen Tritt in die Rippen zu verpassen. Dietmar schossen die Tränen in die Augen. Als er endlich wieder klar sehen konnte, waren Gesine und die schattenhafte Gestalt verschwunden.
 
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    DER AUTOR

    _Stephan Glietsch

    _Geboren am 11.01.1967

    _Wohnhaft in Köln
     
    _Studium Germanistik, Politik und Geschichte

    _Tätigkeiten als freier Illustrator, Grafiker und Autor

    _1994 Anstellung als Redakteur beim Musikmagazin Intro

    _Seit 1995 Chefredakteur des Magazins

    _2000 Wechsel zum Popkultur-Magazin Spex, dort leitender Redakteur bis 2007.

    _Seit 2007 Freiberuflicher Schriftsteller und Literaturübersetzer mit zahlreichen literarischen Veröffentlichungen in Magazinen wie Süddeutsche Zeitung, Playboy, Weekender und für Verlage wie Random House, Heyne, Lübbe, Blessing, Hablizel, Steidl, Edition Folkwang etc.

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